Kursiv Platform Logokursiv.

Asylio. Kapitel 1. Mailand, Zürich

Daniel Turrel 27.9.2025 • Lesezeit: 4 min
|

Am 28. September trank ich alkoholfreies, fettarmes Bier auf einer Startup-Konferenz in Mailand und diskutierte mit Investoren und Gründern darüber, wie man richtig aus der Komfortzone herauskommt und wie viel Vision und Leidenschaft nötig sind, um die Welt zum Besseren zu verändern.

Ich übernachtete in einem Hotel, von dem aus es zehn Minuten zu Fuß zu dieser riesigen Kirche im Zentrum war. Ich frühstückte in einem Café, wo die Kellner diese Geste mit ihren Händen machen 🤌

Am 29. September trank ich Saft mit Flüchtlingen aus Algerien, Syrien, dem Iran, dem Sudan in einer temporären Unterkunft in Karlsruhe, und wir versuchten herauszufinden, wohin wir morgen geschickt würden.

Dies ist eine wahre Geschichte, die einem real existierenden Menschen passiert ist. Und vielleicht immer noch passiert.


Es gibt keine direkten Züge von Mailand nach Stuttgart, aber es gibt einen mit einem Umstieg in Zürich. Den nahm ich.

Jedes Mal, wenn man die Schweiz auf dem Landweg verlässt, hält der Zug an der Grenze an, und zwei Zivilbeamte mit um den Hals hängenden Ausweisen gehen durch. Sie suchen nach Geld. Man darf nicht mehr als 10.000 Euro aus dem Land mitnehmen. Ich denke, sie sind Zollbeamte.

Sie gehen durch die Wagen, vorbei an einem Haufen Leute, schauen sich aufmerksam um. Sie gehen vorbei und sagen nichts. So sehen sie die meisten Reisenden.

Aber es gab kein einziges Mal, dass ich die Schweiz verließ, ohne dass sie meine Dokumente sehen wollten und mich baten, mein Gepäck zu zeigen. Also kann ich mit Zuversicht sagen, dass ich wie jemand aussehe, der 10.000 Euro in der Tasche hat.

Normalerweise schauen sie, leuchten mit einer Taschenlampe in meinen Rucksack und gehen weiter, sobald sie meine Brieftasche sehen.

Ich trage absichtlich eine Brieftasche mit etwas Bargeld darin. Ich benutze sie nicht. Aber wenn man sagt, man hat kein Bargeld, drehen die Gesetzeshüter durch und beginnen eine vollständige Durchsuchung.

Diesen Trick habe ich das erste Mal herausgefunden. Ich verließ das Land mit dem Auto und hatte keine Brieftasche. Sie durchsuchten alles. Sie öffneten jede Tasche, versuchten, alle im Auto gefundenen Papiere zu lesen, entfernten sogar die Sitze und brachten speziell ausgebildete Hunde, um herumzuschnüffeln.

Also trage ich jetzt eine fast leere Brieftasche bei mir. Aber dieses Mal half es nicht, und sie führten wieder eine vollständige Durchsuchung durch. Offensichtlich wegen des Krieges, der Mobilisierung in Russland und der Tatsache, dass ich Russe bin.

Zuerst blätterte einer von ihnen wiederholt durch alle Visa in meinem Pass, während der andere fragte, was ich im Land machte, wie ich hierher gekommen sei und wohin ich als Nächstes gehen würde. Er bat darum, Tickets, Nachweise über die Mietunterkunft zu zeigen. Ich versuchte, auf Deutsch zu antworten.

"Ihr Visum ist abgelaufen."

"Blättern Sie die Seite um."

"Auch dieses ist abgelaufen."

"Nun, blättern Sie nochmal um."

Er blätterte bis zum allerletzten Visum.

"Nehmen Sie Ihre Sachen und folgen Sie meinem Kollegen. Sie könnten aus dem Zug genommen werden. Sie haben Ihren Aufenthalt im Land überschritten."

Ich erklärte ihnen, dass man mit Touristenvisa nicht länger als 90 Tage im Land bleiben darf, aber mein Geschäftsvisum hat keine solche Beschränkung. Mein Visum gilt für 1 Jahr. Ich bin seit 11 Monaten im Schengen-Raum. Mir bleibt noch ein Monat.

Einer von ihnen rief jemanden an, um etwas zu klären. Der andere breitete derweil im Vorraum meine Taschen aus und begann, sie zu öffnen. Wenn er etwas fand, das ihm seltsam erschien, fragte er mich zuerst, ob der Gegenstand mir gehörte und ob er ihn sich anschauen dürfte.

Sie entschuldigten sich und ließen mich gehen. Alles war in Ordnung und ich war absolut legal im Land. Sie lobten mich dafür, dass mein Gepäck so ordentlich im deutschen Stil gepackt war.

Schließlich fragten sie,

"Warum gehen Sie nach Deutschland?"

"Ich besuche einen Freund. Das Visum läuft aus, und ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden."

"Und dann wohin?"

"Ich fahre nach Russland."

"Da ist Krieg, Mobilisierung. Sie nehmen Sie zum Krieg."

"Mal sehen."

"Warum wollen Sie nicht in Deutschland Asyl beantragen? Sie haben bekannt gegeben, dass sie Russen aufnehmen."

Tatsächlich, warum will ich nicht in Deutschland Asyl beantragen?

|

Kommentare

Was denkst du?

Melde dich an um deine Gedanken zu teilen.

Geschrieben von Daniel Turrel

Veröffentlicht am: 27.9.2025
Profil ansehen

Wolltest du auch schon mal einen Artikel schreiben?

Beliebte Stories auf Kursiv

Bilder sagen mehr als tausend Worte

Mit Worten lässt sich einiges kommunizieren, aber leider nicht alles. Deshalb freut es mich, dass Kursiv ab heute auch Bilder unterstützt. Damit kann der Text etwas untermalt werden und auch Anleitungen zu gewissen Themen lassen sich jetzt hier umsetzen. Man findet aktuell 2 verschiedene Möglichkeiten Bilder hochzuladen. Es gibt jetzt ein Profilbild und es lassen sich Bilder im Fließtext in deinen Stories hinzufügen.

Robin Ostner 21.1.2024 Lesezeit: 4 min

Strategie trifft Nachhaltigkeit - oder -Warum ist ein Business Netzwerk der schlüssel zum Nachhaltigen Erfolg

Business Networking: Der Schlüssel zu langfristigem Erfolg

Dittmar Wilfling 24.3.2025 Lesezeit: 3 min

1-07/06 kleines Erwachen

Wenn man in einer fremden Stadt durch die Straßen schlendert und jede Straße, jeder Platz neu und genau deswegen so flüchtig ist, dann gibt es diesen Moment in dem man aus einer neuen Richtung wieder auf einen altbekannten Weg zurückfindet - es fühlt sich an wie ein kleines Erwachen.

JG

Jo Goe 8.6.2025 Lesezeit: 1 min

Das Geldsystem

ZITAT DER GEBRÜDER ROTHSCHILD ZUM GELDSYSTEM VON 1863:

B M K 29.2.2024 Lesezeit: 3 min

Hey!

Hey! 

VF

Vincent Fey 17.12.2024 Lesezeit: 12 min

Strategie trifft Nachhaltigkeit - oder: Nachhaltigkeitsstrategie für StartUps: Sinnvoll oder Überbewertet?

Nachhaltigkeit für StartUps? Bist du verrückt, da besteht ja kein Markt. So oder so ähnlich waren die Reaktionen meines Umfeldes, als ich meine Firma, Environdly (https://www.environdly.com), gegründet habe. Immerhin scheint es auf den ersten Blick für viele frischgebackene Gründer einem Luxusproblem zu sein – wie etwas, um das man sich kümmern kann, wenn die Firma erst einmal läuft. Wer hat denn auch Zeit, sich Gedanken über CO₂-Bilanzen Lieferketten und Prozesse Gedanken zu machen, wenn man gerade versucht, die ersten Kunden zu gewinnen, das Produkt zu verbessern und irgendwie schwarze Zahlen zu schreiben? Ich war immer schon der Überzeugung, und damit bin ich nicht allein, dass diese Gedanken zu kurz gegriffen sind. Die Frage muss lauten, „Wer hat das Geld und die Zeit die Prozesse nicht von Anfang an zu optimieren und Nachhaltigkeit neu zu denken?“. Wenn der Laden mal läuft, erweist es sich häufig al schwierig und kostenintensiv Prozesse und Strukturen neuzudenken und zu gestalten. Außerdem ist ernstgenommene Nachhaltigkeit schon lang mehr kein Nice-to-have sondern zusehends ein Must-have und kann der entscheidender Erfolgsfaktor sein, der Startups den entscheidenden Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern gibt.

Dittmar Wilfling 12.11.2024 Lesezeit: 8 min