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Das Stockdale Paradox: Ein Framework um Schwierigkeiten zu überstehen

Christoph Nißle 3.9.2025 • Lesezeit: 5 min
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Mein Arbeitstag ist zu Ende. Der Kopf raucht. Ich muss raus.

Laufschuhe an, rein in die Sportklamotten und abgehts. Ich gehe vor die Tür, schau auf meine Sportuhr, wähle "Laufen" - warte wie immer aufs GPS - und los geht's.

Wie jedes Mal denke ich mir "nicht zu schnell loslaufen, dir geht hinten die Puste aus", gefolgt von "10 Minuten Lauf-ABC, du solltest Dich warm machen". Nach den ersten zwei Ecken raus aus den Häuserblöcken ins Grün, schau ich auf die Uhr: "Mist, schon wieder zu schnell gestartet".

Die Beine melden sich, aber ich bin zu stolz um mir einzugestehen, dass das nun schwer war. Ich bin fest davon überzeugt, dass in mir ein Athlet steckt. Ich beiße durch.

Nach knapp 15 Minuten habe ich mein Tempo gefunden, ich laufe und ich fühle mich gut. Die erste Schwierigkeit ist überstanden.

Nach ca. weiteren 15 Minuten wird's langsam ein wenig Öde. "Was mache ich hier eigentlich?" wechselt sich ab mit "Du bist fit, Du kannst das, Du wirst Deine letzte Zeit schlagen" und ich ziehe durch, bis ich meine 10km hinter mir habe.

Widersprüchlich zwischen "Durchhalten, Zeit schlagen" und "Meine Beine schmerzen, was soll das?" - der unerschütterliche Glaube an den Erfolg, hat mich dann doch zu einer guten Laufzeit geführt.

Das Stockdale Paradox

Als einer der Schlüsselfunde in "Good to Great" konnte ich das Stockdale Paradox identifizieren. Es handelt sich hierbei um ein mächtiges psychologisches Werkzeug um im Angesicht von Schwierigkeiten oder ungünstigen Umständen durchzuhalten - im Gegensatz zu jenen die einknicken.

Es ist nach Admiral Jim Stockdale benannt, einem U.S. Offizier welcher in Gefangenschaft im Vietnamkrieg über sieben Jahre Folter überstand, mit zwei sich widersprechenden Gedanken:

  1. Unerschütterlicher Glaube zu überleben

  2. Diszipliniert genug sein, dass die aktuelle Realität komplett anders aussieht.

Als er gefragt wurde, wer die Gefangenschaft nicht überlebt hatte, nannte er die Optimisten. Sie hätten sich an bestimmte Daten geklammert, wie Weihnachten oder Ostern - und als sie dann nicht entlassen wurde, haben sie sich ihrem Schicksal ergeben.

Der Kern der Botschaft von Stockdale ist seine Realisierung, dass der optimistische Ausblick, so sehr er auch als positive Charaktereigenschaft gilt, eine Art der Selbstverführung war. Das hat die Optimisten davon abgehalten sich der Wirklichkeit zu stellen.

Sein eigenes Überleben war in einer anderen Haltung verankert: Die Verweigerung den Glauben an den Sieg aufzugeben, komibiniert mit der unerschütterlichen Akzeptanz, dass es aktuell schmerzhaft aussieht. Diese Dualität wird als Stockdale Paradox bezeichnet.

Die zwei Hälften des Paradox

Hälfte eins: Unerschütterlicher Glaube durchzuhalten

  • Unerschütterlicher Glaube: Dies ist eine tiefe, beständige Überzeugung, dass man nicht nur überleben, sondern am Ende auch siegen wird, unabhängig von den Schwierigkeiten. Es ist eine Form der langfristigen Hoffnung, die nicht an bestimmte Zeitpläne oder Ergebnisse gebunden ist.

  • Transformation durch Schwierigkeiten: Dieser Glaube ermöglicht es Führungskräften, eine Krise nicht als unüberwindbares Hindernis zu betrachten, sondern als ein entscheidendes Ereignis, das sie und ihre Organisation letztendlich stärker machen kann. Die Herausforderung wird zu einer Chance für Wachstum.

  • Motivation und Resilienz: Dieser unerschütterliche Glaube verleiht die mentale Stärke und emotionale Energie, die erforderlich sind, um lange Phasen der Anstrengung durchzustehen. Er verhindert, dass Menschen angesichts von Rückschlägen mutlos werden oder aufgeben.

Hälfte zwei: Die Diszipling brutale Fakten zu konfrontieren

  • Keine Falschen Hoffnungen: Dies ist die Disziplin, sich der aktuellen Realität direkt zu stellen, egal wie düster sie auch sein mag. Es bedeutet, der Versuchung zu widerstehen, die Situation zu beschönigen – eine Gewohnheit, die auf lange Sicht zutiefst demotivierend sein kann.

  • Der Realität stellen: Produktive Veränderungen und gute Entscheidungen können nicht getroffen werden, ohne sich zuerst den brutalen Tatsachen zu stellen. Führungskräfte, die diese Eigenschaft verkörpern, schaffen eine Kultur, in der die Wahrheit gehört wird, anstatt ein Klima der Angst, in dem Menschen schlechte Nachrichten filtern.

  • Unterscheiden von Pessimismus: Sich brutalen Tatsachen zu stellen, ist kein Pessimismus. Pessimisten glauben, dass eine Situation hoffnungslos ist, und tun nichts. Das Paradoxon erfordert, die Härte der Realität anzuerkennen, als notwendigen ersten Schritt, um herauszufinden, was getan werden muss, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Produktentwicklung und Leadership

Das Stockdale-Paradoxon ist nicht nur eine Überlebensstrategie für Extremsituationen, sondern auch ein Leitfaden dafür, wie man Produkt von gut zu großartig führt.

Produktmanager und die brutalen Fakten: Produktmanager, die ihr Produkt von gut zu großartig gemacht haben, waren Meister darin, eine Kultur zu schaffen, in der die Wahrheit gehört wurde.

Sie führten mit Fragen, nicht mit Antworten, und förderten intensive Debatten, um ohne Schuldzuweisungen zum Kern der Realität vorzudringen. Sie schufen auch Mechanismen – wie „Warnflaggen“-Systeme –, die Informationen in Daten umwandelten, die nicht ignoriert werden konnten. Dies steht in krassem Gegensatz zu anderen Produktteams, in denen charismatische Führungskräfte oft den Fluss brutaler Fakten unterdrückten.

Fazit

Das Stockdale Paradox ermöglicht es mehrere gute Entscheidungen zu treffen, welche konsequent ausgeführt über die Zeit ein Momentum aufbauen.

Die bittere Realität der aktuellen Situation zu akzeptieren, hinterlässt Produktteams stärker und widerstandsfähiger, anstatt von falschen Hoffnungen entmutigt zu werden.

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Geschrieben von Christoph Nißle

Veröffentlicht am: 3.9.2025
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