Wege zur Spitzenklasse
Teil I: Von Grund auf
Ich bin Opernsängerin - oder lieber - ich habe Operngesang studiert. Was ich tue ist, zu singen. Das ist etwas, was ich immer überall tuen kann. Meine Stimme - mich, meinen Körper - habe ich immer dabei. Mein Körper ist mein Schneckenhaus, welchen ich immer und überall mit mir habe. Ein Laden auf zwei Beinen. Mein zu Hause UND mein Laden.
Vor einem Jahr kam dann auf einmal die Musikschule vor Ort auf mich zu und fragte mich, ob ich ihren Kinderchor leiten wollen würde. Die Leitung kannte mich nicht und ich kannte sie nicht. Das Einzige, was diese über mich wusste, war, dass ich wohl Sängerin bin und sympathisch sei. Und sie vertraute mir einfach mal 20 Kinder an. Das war der Zeitraum, in dem ich mich zusätzlich zum Singen noch für das Unterrichten entschied. Ohne Vorerfahrung.
Was ich in der Sänger-, Musiker- und generell allgemein anerkannten Arbeitswelt gelernt habe - und was auch im noch allgemein geltenden Arbeitssystem meiner Ansicht nach genau so dargestellt wird - ist die Devise, dass nur das, was viel Arbeit koste auch hochkarätig wäre, und dass es auch nicht so leicht wäre einen Standard zu erreichen, der einen zur Spitzenklasse macht - ansonsten stimmt etwas nicht, es könnte "nicht seriös" sein.
Im Studium habe ich das gemerkt. Viel Fleiß, Disziplin und allen voran die Freude mein Instrument klingen zu lassen haben mich zu meinem Master-Studium an eine der weltweit für den Operngesang renommiertesten Institutionen überhaupt gebracht. Das, was ich selber zu diesem Zeitpunkt beisteuern konnte, meine eigene Energie monatelang nur auf den einen Studienplatz zu verwenden, habe ich gemacht. Doch was ist mit dem wirtschaftlichen, finanziellen Beitrag gewesen? Schließlich gab es auch zahlreiche Meisterkurse, Vorsingen, Zugfahrten zu den Meisterkursen, Unterkünfte, Probestunden bei potentiellen WunschlehrerInnen, die zu diesem Studienplatz dazu gezählt hatten und das alles durfte auch bezahlt werden.
Ich hatte das "Glück" in einem musikalisch familiären Umfeld groß geworden zu sein, das sich haargenau über diese Kostenfragen im Klaren war und das sich dessen bewusst war, wie herausfordernd dieser Faktor sein und wie stark man von diesem auf dem Weg in seine Profession, seine künstlerische Gabe in höchster Qualität ausleben zu können, ausgebremst werden kann.
Es gab StudienkollegInnen von mir, die die Gelder durch Wettbewerbe erwirtschaftet hatten. Wieder andere durch Vorsingen bei / vor Fördervereinen, Stiftungen und dergleichen. Und dann gab es noch die, die ihr Geld im Studium mit Minijobs an der Käsetheke, im Roomservice, beim Babysitten, beim Kellnern und weiteren - und beim Unterrichten verdient haben. Die, denen dann auch mal keine Energiereserven nach getaner Arbeit mehr zur Verfügung standen ihr "Instrument nochmal auszupacken" und eine neue Arie oder ein neues Lied in ihren Körper zu bekommen. Die, die einfach froh waren, wenn sie ihren Studienplatz, ihr Essen vom Discounter und ein günstiges Studentenappartement selber zahlen konnten. Ist diesen der Weg zur Spitzenklasse daher von vornherein verwehrt geblieben? Ist dieser "Weg in die Spitzenklasse" deswegen so ein Mysterium, weil es nur einigen wenigen vorherbestimmt ist so weit kommen zu können? Oder ist es vielleicht gerade der viel organischere und gesündere Weg um zur Spitzenklasse zu kommen als in jungen Jahren finanziell gepampert und pädagogisch gepusht zu werden? Weil dann alles aus der eigenen Kraft, im eigenen Tempo entstehen kann und man auch Zeit hat Entscheidungen zu treffen und zu reifen anstatt permanent von einem Außenmann zum Nächsten geführt zu werden?
Sicher kann der Begriff "Spitzenklasse" unterschiedlich verstanden werden. Früher dachte ich ihn genau so: Ich habe Menschen, die mir den Raum halten, damit ich das Studium vorbildlich und meisterhaft durchziehen kann, um dann auf die Bühnen, die die Bretter der Welt bedeuten, zu gelangen. Das hat auch genau so lange geklappt, bis ich anfing mich mit mir selber zu beschäftigen und eine Persönlichkeit in mir zu entdecken. Eine Persönlichkeit, die feststellen durfte, dass genau diese Menschen, die mich bis dato finanziell unterstützt hatten, mir gar nicht so gut getan haben, wie ich es mir für mich selber gewünscht hätte und wie ich es mir Jahrzehnte lang jedoch schön geredet hatte. Eine Persönlichkeit, die diesem Weg, ständig das Gefühl zu haben unter Druck zu sein und sich beweisen zu müssen, auf einmal den Vogel gezeigt hat. Eine Persönlichkeit, die anfing in sich eine Würde und einen Stolz zu spüren. Ein "Standing".
Ich habe mir die Zeit genommen, um diese Persönlichkeit in ihren Tiefen kennen zu lernen. Das waren erst mal drei Jahre bis ich überhaupt alle Treppen in diesen Keller erklommen habe. - Die "eine" große Entscheidung zu treffen, ist die eine Sache. Dieser Entscheidung dann auch damit verbundene Taten folgen zu lassen die Andere - auf diesem Weg warten dann noch viele weitere Entscheidungen auf einen. Entscheidungen, zwischen den Wegen, die einen näher zu sich selbst bringen können und denen, die einen dazu verlocken können sich selbst wieder zu umgehen und sich des Neuen von sich selbst zu entfernen. In der Tiefe können diese Feinheiten kristallklar erkannt werden, wenn man ganz ehrlich zu sich ist.
11 Monate hat es mich gebraucht um das Gefühl dieses alleingelassenen Kellers erst mal zu verarbeiten, bis ich dann innerlich überhaupt bereit war mich zu trauen mit dem ersten Gegenstand dort in Berührung zu gehen. Nun sind es 22 Monate seit der ersten Berührung und es werden sicher noch einige Monate folgen.
Sicher kann es ein "Risiko" sein, wenn "man" es so nennen möchte, welches man eingeht, wenn man ursprünglich, wie ich, vorhatte seinen Karriereweg so zielorientiert zu verfolgen und man sich dann auf einmal anfängt selber kennen zu lernen. Die Fragen, die man sich beginnt zu stellen, können ans Eingemachte gehen und man kann alles infrage stellen, worüber man sich vorher so sicher war. Der Keller, das Fundament und alles, was unter den Teppich gekehrt wurde, wird angeschaut und jegliche Gewissheiten können aus den Fugen geraten. Da, wo man sich vorher einredete, keine verwundeten Punkte zu haben, tauchen Solche auf einmal auf. Und umgekehrt. Der Boden wird sicht- und fühlbar und nach einiger Zeit auch unsere Wurzeln. Jedoch sind es eben die eigenen Wurzeln, die uns dann das Gefühl der Sicherheit geben. Egal, welchen Weg wir uns dann entscheiden zu gehen. Solange es auf dem Weg auch den Raum für die eigene Persönlichkeit und unsere Wurzeln gibt. - Lightning Star ☆
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Geschrieben von Lightning Star
Veröffentlicht am: 12.12.2024Profil ansehen
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