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Berichte eines BF 6 - Soldaten

JG
Jan Göbel 20.10.2025 • Lesezeit: 3 min
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Tajikistan - Liberation Peak
10.10.2027

Es ist einer dieser seltenen Momente im Leben, wo man später in einer Kneipe sitzt, auf das Etikett des fade schmeckenden Bieres schaut, sich erinnert und dann leise vor sich hin lacht.

Eben spiele ich noch mit dem Kameraden Murphy an einem klapprigen Holztisch Karten und ziehe ihm den sauer verdienten Sold aus der Tasche und im nächsten Augenblick bricht die Hölle über uns herein.

Wir sind am Standort Liberation Peak stationiert, einem verschlafenen Dörfchen in einem Tal zwischen verschneiten Bergen in Tajikistan. Keine Menschenseele ist hier außer uns. Dachten wir.

Plötzlich laufen knapp 64 Soldaten hier rum. Jets und Hubschrauber fliegen über unsere Köpfe hinweg. Eine der Maschinen rauscht getroffen brennend in das behelfsmäßige Lager hinein. Die Explosion reißt mich beinahe von den Füßen.

Ständig rattern irgendwo Gewehre, Raketen fliegen durch die Luft. Alle paar Minuten sprengt jemand eine Wand von den Häusern weg. Verletzte oder Sterbende schreien nach Hilfe, wollen einen Medic.

Ich bin so einer. Ausgestattet mit meinem Defibrillator mache ich mich ans Werk. Bald tun mir die Arme weh vom dauernden Wiederbeleben. Ein Danke erhalte ich nur sporadisch.

In einer ruhigen Sekunde fällt mir dann auf, dass ich scheinbar der Einzige bin, der die Kameraden auf die Beine zurückholt. Ständig haut es einen aus den Stiefeln, aber die Kollegen in der Nähe ignorieren es größtenteils. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber der Großteil schert sich nicht um die Schreie der Verletzten. Sie laufen an ihnen vorbei, ja sogar direkt drüber. Wie von Sinnen suchen sie neue Ziele, die sie wegballern können.

Ich halte einen am Arm fest und frage ihn, warum er den sterbenden Kameraden dort liegen lässt.

Er reißt sich los und schaut mich mit großen Augen an. Es hätte mich nicht gewundert, wenn plötzlich Schaum aus dem Mund gekommen wäre. Er will weiter, töten. Stolz zeigt er eine Strichliste auf dem Ärmel. „Schon 13 Kills. Da geht noch was.“

Fassungslos erkläre ich ihm, dass es doch nicht darauf ankommt, möglichst viele zu erschießen. Unsere Kameraden brauchen Hilfe. Nur als Team sind wir überlegen, nur so gewinnen wir. Ich hätte es auch dem gelben Bagger in der Nähe sagen können.

Der Soldat läuft kommentarlos weiter, springt blindlings in ein Haus rein, dessen Wand ein paar Sekunden vorher in einer Explosion zusammenstürzt und erschießt zwei Gegner. Dann reißt ihn eine Granate von den Füßen. „Medic!“

Kurz überlege ich, den Verrückten verrecken zu lassen. Dann meldet sich mein Gewissen und ich zücke den Defibrillator.

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Geschrieben von Jan Göbel

Veröffentlicht am: 20.10.2025
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