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Dieses eine Gefühl

unfertigaberecht 25.2.2025 • Lesezeit: 7 min
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Es gibt da ein ganz bestimmtes Gefühl in mir, das ich schon sehr lange kenne. Ehrlich gesagt kann ich mich gar nicht an eine Zeit erinnern, in der ich dieses Gefühl noch nicht kannte. Es kommt immer wieder hoch. Es fühlt sich an wie ein großer und schwerer Ziegelstein, der auf meinem Magen liegt. Er macht jeden Schritt, den ich gehe, ein bisschen schwerer, lässt meine Körperhaltung einknicken und meine Ausstrahlung schrumpfen. Ich fühle mich dann unwohl, irgendwie auch einsam und orientierungslos. Gleichzeitig spüre ich eine gewisse Sehnsucht in mir. Wenn dieses Gefühlschaos da ist, dann nehme ich die Welt auf eine andere Art und Weise wahr – ehrlich gesagt auf eine schreckliche Art und Weise.

Oft sieht mein Leben so aus: Ich visiere ein bestimmtes Ziel an, beispielsweise eine Prüfung, die bald ansteht – ein wichtiges Vorspiel, oft auch kleinere Sachen wie To-dos, zum Beispiel am Abend noch Sport machen oder die Wohnung putzen. Ich stelle mir dann den Zeitpunkt vor, an dem die Prüfung vorbei ist oder meine To-dos erledigt sind. Ich sehe innerlich, wie ich mich entspannen kann, zufrieden bin und einfach loslassen kann. Das Fatale daran ist, dass genau das nicht passiert. Ich bin vielleicht an einem Ziel oder vielmehr an einem "Checkpoint" angekommen. Aber entweder weiß ich dann überhaupt nicht, was ich mit mir anfangen soll, oder ich suche nach dem nächsten Ziel, auf das ich hinarbeiten kann. Ich merke, wie sich das anfänglich beschriebene Gefühl in mir breitmacht und ich meine wohlverdiente freie Zeit gar nicht genießen kann.

Dieser Gefühlszustand kommt also immer in mir hoch, wenn ich gerade nichts zu tun habe – in stillen Momenten. In Momenten, in denen gerade mein Handy außer Reichweite ist und jegliche andere Ablenkung ausbleibt. Wo es gerade nichts mehr zu tun gibt. Ich glaube, dass ich oft vor diesem Gefühl weglaufe. Indem ich ständig beschäftigt bin, immer irgendeinen Input habe und meinem Gehirn keine Pause gönne, kann ich all das meistens verdrängen. Wenn ich spüre, wie unangenehm dieser Zustand ist, wird mir klar, warum ich einen solchen Aufwand betreibe, um das alles oft einfach nicht spüren zu müssen.

Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, woher dieses Gefühl kommt, was es mir sagen will und wie ich damit umgehen kann. Ich spüre eine Sehnsucht – eine Sehnsucht danach, an einem anderen Ort zu sein, vielleicht sogar mit anderen Menschen, in einem anderen Umfeld. Ich habe vor meinem inneren Auge immer Orte wie Spanien oder Süditalien, wo eine andere Kultur gelebt wird, die Menschen anders sind, ein wärmeres Klima herrscht und alles irgendwie entspannter ist. Zumindest stelle ich mir das so vor. Ich könnte nun natürlich dieser Sehnsucht nachgehen und einfach auswandern, an einen anderen Ort gehen, mein Leben hier zu Hause hinter mir lassen und mir woanders ein neues Leben aufbauen. Mit welchem Ergebnis? Wahrscheinlich mit dem Ergebnis, dass sich rein gar nichts oder nur sehr wenig ändert. Ich habe realisiert, dass das Problem nicht meine Umwelt, also die Menschen um mich herum, der Ort, an dem ich lebe, oder das Wetter und die Kultur sind, sondern vielmehr die Beziehung zu mir selbst.

Am Ende muss es, denke ich, jeder Erwachsene schaffen, mit sich selbst zufrieden zu sein – sich selbst zumindest einmal "okay" zu finden und das Gefühl zu haben, bei sich selbst ein Stück weit zu Hause zu sein. Was ist, wenn diese Sehnsucht, die ich spüre, mich genau auf das aufmerksam macht? Dass ich mich eben nicht sicher und zu Hause fühle, wenn ich mit mir selbst bin. Was, wenn ich oft einfach irgendwelchen Zielen hinterherlaufe, in dem Glauben, dass ich im Moment noch nicht gut genug bin, es aber vielleicht sein werde, wenn ich dort angekommen bin – am Ende dann aber wieder merke, dass ich immer noch nicht "genüge" und deswegen weiter hasten will?

Ich glaube, dass mich dieser Gefühlscocktail genau auf das aufmerksam machen möchte – dass ich zufriedener mit mir sein und mich so akzeptieren sollte, wie ich bin. Dass ich in gewisser Weise eine Heimat für mich selbst sein muss, indem ich wohlwollender und mit größerer Wertschätzung mit mir selbst umgehe – das anerkenne, was schon da ist, was gut ist. Und nicht immer nur auf alle Missstände schaue, von denen ich glaube, sie beseitigen zu müssen, damit ich endlich so bin, wie ich doch eigentlich sein müsste. Wir wissen alle, dass es die Realität ist, dass keiner von uns vollkommen oder perfekt ist. Und das ist gut so. Also warum sollte ich das sein müssen? Warum sollte ich etwas hinterherhetzen, das ich nie erreichen werde?

Nun einfach einen Schalter umzulegen und zu denken: "Gut, dann bin ich wohl gut genug und gehe das alles einfach ein bisschen entspannter an" funktioniert leider nicht. Dieses Perfektionsstreben, dieser Drang, ständig etwas tun zu müssen und oft einfach nicht still sitzen zu können, ist nämlich nichts anderes als eine Schutzstrategie, die mich vor etwas beschützen will. Allerdings muss ich anerkennen, dass es da nichts gibt, wovor ich weglaufen muss. Es gibt keinen "fehlerhaften" Teil in mir, den ich vor anderen Menschen verstecken sollte, indem ich versuche, möglichst perfekt zu sein. Natürlich habe ich Eigenschaften, die gut sind, und Eigenschaften, die weniger gut sind. Aber warum sollte ich diese "Fehler" vor anderen Menschen verstecken? Wäre es nicht viel mutiger, sich genau das einzugestehen?

In meinem Trompetenstudium ertappe ich mich täglich bei dem gleichen Muster. Ich versuche häufig, Fehler zu vermeiden (auch schon beim Üben) aus lauter Angst, nicht gut genug zu sein. Diese Strategie und mein Perfektionsstreben haben allerdings auch hier gleich mehrere Nachteile. Zum einen verhindert es für mich ein freies, entspanntes Spielen, bei dem ich agieren kann, anstatt zu reagieren. Wenn ich versuche, Fehler zu vermeiden, bin ich ständig im Reaktionsmodus. Zum anderen verbaut es mir jegliche Möglichkeit, besser zu werden. Denn eigentlich – und diesen Satz hat wahrscheinlich jeder Musikstudent schon mal gehört – sind Fehler nichts anderes als Wegweiser. Sie zeigen mir auf, was noch nicht gut funktioniert, woran ich noch arbeiten kann, um besser zu werden. Wenn ich mir jedoch bei jedem Wegweiser die Augen zuhalte, aus der Angst heraus, nicht vollkommen zu sein, weil ich den richtigen Weg nicht kenne, verlaufe ich mich höchstwahrscheinlich – außer ich habe eine Menge Glück. Viel zielführender wäre es, den eigenen Stolz und die Angst zu überwinden und die Wegweiser einfach zu nutzen, um letztendlich viel schneller und auch leichter ans Ziel zu kommen.

Genauso ist es, finde ich, auch im Leben abseits meines Studiums. Ich sollte lernen, auch das an mir zu akzeptieren, was aus meiner eigenen Sicht vielleicht nicht gut ist. Ich habe es mittlerweile auch schon oft erlebt, dass anderen Menschen das noch nicht einmal auffällt oder sie es gar nicht als "fehlerhaft" erachten. Und selbst wenn – gibt mir genau das erst die Möglichkeit, viel authentischer zu sein. Außerdem kann ich dann erst so richtig an diesen Dingen arbeiten, sofern ich das für mich selbst überhaupt möchte, weil es mich ernsthaft stört. Und wenn das nicht der Fall ist, kann ich mich so darin üben, sie einfach anzunehmen – als Teil von mir willkommen zu heißen und mir schlussendlich zu sagen: "Ja, so ist es. Und ich bin zufrieden damit!"

Wenn ich auf diese Art und Weise mit mir umgehe, empfinde ich ein Gefühl von Heimat – eine Atmosphäre, die mir Geborgenheit gibt und mich zur Ruhe kommen lässt. Genau das ist es, was ich mir innerlich schon lange gewünscht habe. So bin ich viel eher zu Hause, viel mehr als an einem anderen Ort, nach dem ich mich gesehnt habe. Und mit den Menschen, die mir wirklich wichtig sind.

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Geschrieben von unfertigaberecht

Veröffentlicht am: 24.2.2025
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